by Jeanette Richter | Dienstag, 5. Dezember 2023 | Seelengeschichten |
Vor Kurzem habe ich mir tatsächlich einen CD-Player gekauft und was soll ich sagen: mit dem Ding lassen sich nicht nur CDs abspielen, sondern sogar Kassetten. Kaaaaassssetttten, das sind die Plastikdinger mit Löchern in der Mitte.
Und da hab ich doch gleich eine Kassette mit Kinderaufnahmen aus den Jahren 1972 – 1979 eingelegt und hörte meine Eltern, meinen Bruder und mich. Mega!
Da wurde mir bewusst, dass ich wohl schon früher gerne Geschichten erzählt habe. Schön als 5-Jährige plapperte ich drauflos und erzählte und erzählte …
Das hab’ ich wohl von meinem good old Daddy;). Er erzählte uns Kindern nämlich auch immer selbst erfundene Geschichten, z. B. die Geschichte vom fliegenden Pfannkuchen oder von der Lampe, die ganz traurig war, weil sie mit ihrem Licht niemanden erfreuen konnte.
Und daher will ich Dir heute erzählen, wie sich das mit dem Nikolaus aus meiner Sicht wirklich zugetragen hat. 😉
Also los …
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Zugehörige Podcastfolge
Es war einmal vor langer, langer Zeit …
Neee, fangen wir anders an.
Ich heiße Nikolaus. Ich bin ein Mann, der vor echt gaaanz langer Zeit auf Eurer Erde in Myra in der Nähe von Antalya/Türkei lebte. Und da ich es eh nicht so mit Jahreszahlen habe, lassen wir das an dieser Stelle einfach mal weg. Wen kümmert es schon, ob ich 227, 387 vor Christus oder nach Jesus oder wann auch immer geboren wurde, das kann sich ja eh keiner merken.
Aber weiter … ich war ein sehr gläubiger Mann. Ich glaubte an das Gute im Menschen, an Gott und an seine wundervolle Schöpfung, für die ich echt dankbar war. Und wie das damals halt so war, wenn man mit der Kirche was am Hut hatte, wurde ich irgendwann zum Bischof gekrönt.
Übrigens wurde mein Bruder im Geiste, der auch Nikolaus hieß, an einem anderen Ort und 2 Jahrhunderte später – plus minus null – bekannt als Abt von Sion. Daher sind wir in Euren Erzählungen oft ein und dieselbe Person, denn uns beiden lagen die Bedürfnisse der Armen und Notleidenden sehr am Herzen. Nur damit Du Dich nicht wunderst!
Nun ja, … in meiner Geschichte und meinem Leben war auch nicht immer alles eitel Freud und Sonnenschein (wie übrigens in keinem Leben, aber das nur am Rande). Denn zu meiner Zeit wurde man schon mal echt fies bestraft und in die Daumen gezwickt, wenn man eine andere Meinung vertrat oder nicht so spurte, wie sich die Obrigkeit das vorstellte.
Aber Schwamm drüber! Ist ja echt lange her! Die wussten es halt auch nicht besser.
Der Nikolaus und seine 3 Töchter
Doch weiter im Text …
Eines Tages hörte ich von der Not eines guten Freundes. Seine 3 Töchter sollten verheiratet werden, aber mein guter Freund hatte leider überhaupt keine Knete und das war damals sehr, sehr wichtig, wenn sich Töchter vermählen wollten, denn ohne Moos war damals wie heute nicht wirklich viel los.
Also beschloss ich meinem lieben Freund zu helfen, doch sollte er davon nichts mitbekommen, denn das war ja Ehrensache. Ich wollte nicht, dass er sich mir gegenüber in irgendeiner Art und Weise verpflichtet fühlte.
Deshalb ist es auch heute in Deiner Zeit noch das Schönste überhaupt, wenn man was verschenkt, ohne sich selbst als „Schenker“ zu outen. Das hat was!
Kurz und gut … da ich durch meinen Job genug Geld hatte, sah mein Plan wie folgt aus:
Ich beschloss in drei aufeinanderfolgenden Nächten jeweils ein Goldstück durch die Fenster der Mädchenzimmer zu werfen und wie es der Zufall so wollte, traf ich jedes Mal genau in die Stiefel der Hübschen. Nein, ich habe nicht durch das geschlossene Fenster geworfen, … ich hab’s vorher aufgemacht. 😉
Die Mädels machten natürlich Augen, als sie am Morgen ihre Schuhe anziehen wollten und sich darin ein Goldstück befand.
Auf jeden Fall freuten sich alle ganz arg und mein Freund konnte seine Töchter ohne Probleme verheiraten. Das freute mich sehr und alle waren zufrieden.
Das ist der Grund, warum ihr heute noch jedes Jahr Eure Stiefel am Vorabend des Nikolaustages vor Eure Haus- oder Zimmertür stellt. Denn ihr hofft, dass ich wieder vorbeikomme und Euch auch was in den Stiefel lege. Und meistens klappt das ja, denn mittlerweile habe ich sehr, sehr viele Helfer.
Und eine davon kennt ihr sogar, … ihr nennt sie Christkind. Das ist meine Schwester, die ist auch so drauf wie ich, nur hat sie viel schönere Haare;) Sie hat später aber eine ganz andere „Geschenke-Abteilung“ übernommen.
Knecht Ruprecht – Treuer Helfer
Auch Knecht Ruprecht war übrigens ein sehr treuer Helfer, doch er ist in Euren Erzählungen etwas in Verruf geraten.
Es stimmt gar nich’, dass er unartige Kinder verkloppte.
Er war eher eine Art „Motivationstrainer“, wie man in Eurer Zeit sagt, denn er führte mit den Kindern ernsthafte Gespräche und hörte sich ihre Sorgen und Nöte an.
Ja, und das tat dann manchmal etwas weh, wenn ein Kind entdeckte, dass es Angst vor der Dunkelheit hatte oder einfach aus Furcht ein paar echt unschöne Sachen anstellte.
Eure Schulen haben das später nur ein bisschen durcheinandergebracht und meinten aus pädagogischen Gründen eine Bestrafungsnummer draus zu machen. Aber die haben sich einfach nur geirrt, denn irren ist ja menschlich! Jeder darf sich mal irren, auch mal öfter, vergiss das nie!
Aber Knecht Ruprecht bestrafte niemanden, er war ein echt netter. Also lass’ Dir keine Angst einjagen, wenn Dir jemand was anderes erzählt. Du weißt es jetzt besser.
Falls Du Dich nun fragen solltest, wieso das Ganze denn am 6. Dezember stattfindet, so will ich Dir auch das erklären.
Am 6. Dezember habe ich nämlich das Zeitliche auf der Erde gesegnet. Das bedeutet, dass ich an diesem Tag starb.
Aber da ja niemand für immer tot ist, macht das ja nichts. Ich wollte das nur der Vollständigkeit halber erwähnen, falls Du Dich gewundert haben solltest, wieso das Ganze am 6. Dezember stattfindet.
Aber es ging noch weiter …
Weil das so ein toller Erfolg war und sich so viele Menschen freuten, habe ich meinem treuen Freund Claas davon erzählt. Der wohnte im hohen Norden in einem echt abgelegenen Teil des Landes, nur Bäume ringsum, Schnee und Geklirre, also für mich wäre das ja nix gewesen, aber ihm gefiel es.
Claas und seine Rentierfarm
Und Claas hatte eine riesengroße Rentierfarm und benutzte seine Rentiere manchmal wie „Schlittenhunde“.
Er spannte sie vor seinen großen Schlitten und wenn ich mal zu Besuch war, durfte ich auch mitfahren. Das sauste und brauste in den Ohren und die Haare flatterten im Wind und wenn „Red Nose“, sein Lieblingsrentier einen guten Tag hatte, dann konnte es schon mal vorkommen, dass wir durch die Lüfte wirbelten.
Das machte einen Heidenspaß, kann ich Dir sagen. Ups … apropos Heiden …
Also Claas (ihr kennt ihn heute als Santa Claus oder als Weihnachtsmann, denn den gibt’s wirklich;) war wie gesagt ganz begeistert von meiner Idee mit dem Schenken und wollte dies weiter „ausbauen“.
Außerdem hatte er Verwandte in Amerika, die ihn bei seinem Projekt unterstützen wollten. Die machten dann zwar später ihr eigenes Ding draus, aber egal.
So kam das mit Weihnachten und dem Weihnachtsbaum und den Kugeln und den Süßigkeiten und hohohoooo, aber das war ja mein Nachfolger.
Und egal wo auf der Welt, ob die Leute an Jesus, an Susi oder an Trulla glaubten oder an gar nix, es sollte halt kein Kind an Weihnachten ohne ein Geschenk dasitzen.
Und weil Geld damals wie heute so wichtig erschien, haben sich ein paar schlaue Leute gedacht, dass man die ganze Idee doch auch gut für Erwachsene nutzen könnte. Ihr nennt das heute Marketing.
Und so ist Euer ganzer Weihnachtsrummel entstanden, bei dem Eure Eltern und Verwandte durch die Kaufhäuser hetzen, flitzen oder schlendern oder mittlerweile online shoppen gehen. Aber auch das ist völlig in Ordnung, solange aus dem Herzen heraus geschenkt wird.
Ganz wichtig: Der Weihnachtsmann ist nur für die Kindergeschenke zuständig! 😉 Die Erwachsenen beschenken einander, damit sie nicht leer ausgehen.
Und eins dürft ihr nie vergessen, es fing alles mit mir an, dem Nikolaus.
Und wenn ihr Feste feiert, dann seid ihr bei den Menschen, die Euch am nächsten sind, die Euch lieb haben, auch wenn ihr die manchmal doof findet oder mit deren Ansichten ihr oft nicht einverstanden seid.
Aber das nennt man halt Familie. Und ob ihr sie wirklich sehen könnt oder nicht ist eigentlich auch egal, denn sie sind ja in Eurem Herzen zu Hause. Heute habt ihr Telefon. Wir hatten damals nur Brieftauben.
Meine Namensvetter
Ach ja, meine ganzen Namensvetter möchte ich an dieser Stelle auch noch herzlich grüßen, denn im Gedenken an mich habt ihr Eure Kinder nach mir benannt. Ihr nennt sie heute Niklas oder Klaus, Nils oder Niko, Nikola oder Nicole und manchmal sogar ganz oldschool Nikolaus. Dafür ganz herzlichen Dank.
Nun wünsche ich Dir einen tollen Nikolaustag und vielleicht schenkst Du einfach mal in dieser Woche jemandem was, und sagst demjenigen nich’, dass es von Dir kommt;) Das macht echt Spaß!
Alles Liebe
Deine Jeanette
P. S.: Falls Du Dir einen wirklich schönen Weihnachtsfilm mit Deiner Familie anschauen möchtest, hier mein Film-Tipp: „Klaus“. Kannste bei Netflix gucken;)
by Jeanette Richter | Mittwoch, 30. August 2023 | Seelengeschichten |
Überall tönt es von den Dächern: Du musst erst dieses oder jenes tun und dann, ja dann winkt es — das Glück!
Aber hast Du Dich jemals gefragt, ob das rasante Tempo und der ständige Drang nach „Mehr“ in unserer modernen Welt wirklich der Schlüssel zum Glück ist? Sicherlich hast Du das …
Lass mich Dir eine Geschichte erzählen, die Dich vielleicht zum Nachdenken bringt.
Sie gehört mit zu meinen absoluten Lieblingsgeschichten (ja ich weiß, ich habe sehr viele davon;) ) und kann für Dich ein echter Augenöffner werden, über das, was im Leben wirklich zählt.
Einige finden, diese Geschichte hätte eine Kehrseite … welche das ist, erfährst Du am Ende dieses Artikel. 😉
Zugehörige Podcastfolge
Die Podcastfolge kannst Du Dir hier anhören:
Worum geht’s?
In der Geschichte „Der zufriedene Fischer“ von Heinrich Böll begegnen wir einem einfachen Fischer, der das Geheimnis eines erfüllten Lebens kennt, und einem geschäftstüchtigen Touristen, der überall Gewinn und Profit wittert.
Dabei ist der Tourist weder “schlecht” oder “durchtrieben” noch “gierig”.
Nein! Er ist einfach, wie er ist. Er hat seine Sicht auf die Dinge und möchte dem Fischer nur helfen.
Doch oftmals liegt die Notwendigkeit zur wirklichen Hilfe im Auge des Betrachters und der Fischer verhilft dem Touristen zu einer anderen Sicht auf die Dinge.
Vielleicht hilft sie auch Dir, Deine Lebensprioritäten neu zu überdenken und Dein Leben an dem auszurichten, was für Dich wirklich wichtig und bedeutsam ist. Und ja – Arbeit ist es auch und kann es auch sein.
Wer war Heinrich Böll?
Heinrich Böll (1917–1985) war ein deutscher Schriftsteller und einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Nachkriegsliteratur.
Er wurde in Köln geboren und wuchs in einer katholischen Familie auf. Böll erlebte den Zweiten Weltkrieg und die anschließende Zeit des Wiederaufbaus in Deutschland. Diese Erfahrungen prägten seine schriftstellerische Arbeit und seinen Blick auf die Gesellschaft.
Bölls Schreiben ist stark von sozialen und politischen Themen geprägt. Er war bekannt für seine scharfsinnigen Beobachtungen, wie Du in der folgenden Geschichte vom zufriedenen Fischer sehen wirst.
In seinen Werken setzte er sich intensiv mit den Folgen des Krieges, der politischen Teilung Deutschlands und den sozialen Ungerechtigkeiten auseinander.
Er thematisierte die Verantwortung des Einzelnen, die Moral in der Gesellschaft sowie den Konflikt zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlichen Zwängen.
Seine Hauptwerke
Seine Werke sind oft von einem kritischen und skeptischen Ton geprägt.
Einige seiner bekanntesten Werke, die auch verfilmt wurden, sind
- “Billard um halbzehn”,
- “Ansichten eines Clowns”,
- “Die verlorene Ehre der Katharina Blum” und
- “Gruppenbild mit Dame”.
Auszeichnungen
Heinrich Böll erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1972 den Nobelpreis für Literatur.
Er setzte sich aktiv für politische und soziale Veränderungen ein und setzte seine Popularität auch ein, um auf Missstände in der Gesellschaft aufmerksam zu machen.
Zeit seines Lebens vertrat er die These, dass der Mensch nicht (nur) lebt, um zu arbeiten.
Alle seine Geschichten haben einen bedeutenden Platz in der deutschen Literaturgeschichte eingenommen und beeinflussen noch heute die literarische Diskussion.
Dabei ist besonders Böll´s Geschichte “Der zufriedene Fischer” ein fesselndes Werk, das tief in die menschliche Natur und die Bedeutung von Zufriedenheit eintaucht.
Er schrieb diese Anekdote 1963 für eine Sendung des Norddeutschen Rundfunks zum „Tag der Arbeit“ am 1. Mai 1963 und diese Erzählung war in den 1970er und 1980er Jahren sogar Pflichtlektüre an vielen bundesdeutschen Schulen und gilt daher als Klassiker der Zivilsationskritik.
Die Geschichte: Der zufriedene Fischer
(Quelle: Böll, Heinrich, Werke: Band Romane und Erzählungen 4. 1961-1970. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1994, S. 267-269)
Diese kleine Geschichte bringt uns dazu, kurz innezuhalten und zu überlegen, was wirklich zählt im Leben.
Übrigens: Im Original heißt sie “Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral”
Sie handelt von einem Touristen, der im Gespräch mit einem Fischer begreift, dass man auch ohne große Karriere glücklich sein kann.
Aber lies selbst im Original … los geht’s!
Der zufriedene Fischer
In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst.
Ein schick angezogener Tourist legt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren:
-
- blauer Himmel,
- grüne See mit friedlichen,
- schneeweißen Wellenkämmen,
- schwarzes Boot,
- rote Fischermütze.
Klick.
Noch einmal: klick, und da aller guten Dinge drei sind und sicher sicher ist, ein drittes Mal: klick.
Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt.
Aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Hand gelegt, und ein viertes Klick, das des Feuerzeuges, schließt die eilfertige Höflichkeit ab.
Durch jenes kaum messbare, nie nachweisbare zu viel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist – der Landessprache mächtig – durch ein Gespräch zu überbrücken versucht.
“Sie werden heute einen guten Fang machen.”
Kopfschütteln des Fischers.
“Aber man hat mir gesagt, dass das Wetter günstig ist.” Kopfnicken des Fischers.
“Sie werden also nicht ausfahren?” Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen.
Gewiss liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpasste Gelegenheit.
“Oh? Sie fühlen sich nicht wohl?”
Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über.
“Ich fühle mich großartig”, sagt er. “Ich habe mich nie besser gefühlt.”
Er steht auf, reckt sich, als wollte er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. “Ich fühle mich fantastisch.”
Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht:
“Aber warum fahren Sie dann nicht aus?” Die Antwort kommt prompt und knapp.
“Weil ich heute Morgen schon ausgefahren bin.”
“War der Fang gut?”
“Er war so gut, dass ich nicht noch einmal ausfahren brauche, ich habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen.”
Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touristen auf die Schulter.
Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis.
“Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug!” sagte er, um des Fremden Seele zu erleichtern.
“Rauchen Sie eine von meinen?”
“Ja, danke.”
Zigaretten werden in Münder gesteckt, ein fünftes Klick, der Fremde setzt sich kopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.
“Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen”, sagt er, “aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites, ein drittes, vielleicht sogar ein viertes Mal aus, und Sie würden drei, vier, fünf, vielleicht sogar zehn Dutzend Makrelen fangen. Stellen Sie sich das mal vor!”
Der Fischer nickt.
“Sie würden”, fährt der Tourist fort, “nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja, an jedem günstigen Tag zwei-, dreimal, vielleicht viermal ausfahren. Wissen Sie, was geschehen würde?”
Der Fischer schüttelt den Kopf.
“Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben. Mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen. Eines Tages würden Sie zwei Kutter haben. Sie würden …”,
… die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme,
“Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik. Mit einem eigenen Hubschrauber herumfliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren Kuttern per Funk Anweisung geben. Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren. Und dann …”
Wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache.
Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickt er auf die friedlich herein rollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen.
“Und dann”, sagt er, aber wieder verschlägt ihm die Erregung die Sprache.
Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat.
“Was dann?” fragt er leise.
“Dann”, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, “dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen und auf das herrliche Meer blicken.”
“Aber das tue ich ja schon jetzt”, sagt der Fischer, “ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.”
Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich von Dannen.
Denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen.
Aber es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid.

Fazit und die Moral von der Geschicht´
Schlussendlich zeigt diese Begegnung, wie verschiedene Wertesysteme und Lebensauffassungen aufeinandertreffen können.
Während der Eine ständig nach finanziellem Wachstum strebt, findet der Andere Zufriedenheit und Ausgeglichenheit im Hier und Jetzt.
In der Einfachheit und im Genuss des Augenblicks.
Es ist eine lehrreiche Lektion über die Bedeutung von Zufriedenheit und das Infragestellen konstanten Strebens nach dem “Mehr”.
Die Geschichte “Der zufriedene Fischer” zeigt uns auch die Ironie unserer modernen Gesellschaft.
Während viele hart arbeiten und sich abmühen, um eines Tages ein entspanntes Leben führen zu können, übersehen sie die Möglichkeit, bereits jetzt ein erfülltes Leben zu führen.
Der Fischer hat bereits gefunden, was viele suchen: Zufriedenheit und Balance.
Er hat erkannt, dass es nicht immer mehr braucht, um glücklich zu sein, sondern manchmal weniger – weniger Sorgen, weniger Hektik, weniger ständiges Streben.
Stress lass nach
In Bezug auf Stressmanagement ist es wichtig, sich regelmäßig zu fragen:
„Warum mache ich das alles? Was ist mein Endziel?“
Oft werden wir feststellen, dass wir uns in einem Hamsterrad befinden, das uns nicht unbedingt dorthin bringt, wo wir wirklich hinwollen.
Ein bewusster Blick auf unsere Prioritäten kann uns helfen, uns auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt, und den unnötigen Lärm und Stress des Alltags zu reduzieren.
Letztlich lehrt uns „Der zufriedene Fischer“, dass es nicht darum geht, wie viel wir besitzen oder erreichen, sondern wie wir unser Leben leben.
Was will ich wirklich?
Es geht darum, die Momente zu schätzen, echte Verbindungen und Deine Inspiration zu pflegen und sich Zeit dafür zu nehmen, was uns wirklich Freude bereitet hat.
In einer Welt, die oft von Stress und Überforderung geprägt ist, ist diese Botschaft wichtiger denn je.
Es ist an der Zeit, innezuhalten, tief durchzuatmen und sich zu fragen:
„Was will ich wirklich?“
Und vielleicht, nur vielleicht, ist die Antwort einfacher und näher, als wir denken.
Kritik
Heinrich Bölls “Der zufriedene Fischer” wird oft als eine sozialkritische Erzählung gelobt, die die Ungerechtigkeiten und das ungleiche Machtverhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern aufzeigt.
Allerdings gibt es auch einige kritische Anmerkungen zu dieser Erzählung, die ich Dir nicht vorenthalten möchte.
Zunächst einmal lässt sich argumentieren, dass Böll in seiner Darstellung der Charaktere zu stark in Schwarz-Weiß-Malerei verfällt.
Arbeitgeber werden als rücksichtslose Ausbeuter dargestellt, während die Arbeiter als unschuldige Opfer erscheinen.
Diese Vereinfachung kann dazu führen, dass die Vielschichtigkeit der realen Arbeitswelt vernachlässigt wird.
Es gibt sicherlich auch Arbeitgeber, die bemüht sind, fair zu handeln, und Arbeiter, die ihre Arbeit nicht mit der gleichen Hingabe ausführen wie der Fischer in der Geschichte.
Zu pessimistisch?
Des Weiteren scheint Böll in “Der zufriedene Fischer” eine eher pessimistische Sicht auf soziale Veränderungen und den Fortschritt zu vertreten.
Der Fischer entscheidet sich bewusst gegen den technologischen Fortschritt und bleibt in seiner traditionellen Lebensweise verhaftet.
Dies kann als implizite Ablehnung des Fortschritts und der Modernisierung interpretiert werden. Allerdings vernachlässigt diese Sichtweise die Tatsache, dass Fortschritt auch positive Veränderungen mit sich bringen kann, wie beispielsweise verbesserte Lebensbedingungen und Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung.
Macht oder Ohnmacht?
Zudem hat Böll zwar das Ungleichgewicht der Machtverhältnisse thematisiert, aber keine konkreten Lösungen oder Perspektiven aufzeigt, wie dieses Problem gelöst werden könnte.
Doch denke ich, dass das gar nicht die Aufgabe eine Anekdote ist.
Oft wird auch gesagt, dass die Geschichte mit einer Art Resignation des Fischers endet, der sich zurückzieht und sein Leben in Abgeschiedenheit führt. Und dass dies als ein Aufruf zur Passivität interpretiert werden kann, anstatt sich aktiv für Veränderungen einzusetzen.
Dem stimme ich so überhaupt nicht zu. Denn der Fischer lebt das Leben. Er lebt nicht, um zu arbeiten.
“Dann”, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, “dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen und auf das herrliche Meer blicken.” “Aber das tue ich ja schon jetzt”, sagt der Fischer, “ich sitze beruhigt am Hafen und döse, nur Ihr Klicken hat mich dabei gestört.”
Insgesamt ist “Der zufriedene Fischer” ein bedeutsames Werk, das wichtige soziale Fragen aufwirft.
Allerdings sollten wir uns bewusst sein, dass es nur eine Perspektive auf komplexe soziale Probleme bietet und nicht zwangsläufig alle Facetten dieser Probleme abdeckt.
Kritisch zu hinterfragen, welche Botschaften und Annahmen in solchen Geschichten vermittelt werden, ist unerlässlich, um ein umfassendes Verständnis der Thematik zu entwickeln.
Also: Was denkst Du darüber?
Fragen zur Selbstreflexion
- Lebe ich, um zu arbeiten oder arbeite ich, um zu leben? Was denke ich darüber?
- Ist meine derzeitige Arbeit wirklich die Arbeit, die mich erfüllt und zufrieden macht?
- Wenn nein, wie müsste meine Arbeit dann beschaffen sein, damit sie mich erfüllt? Welche Voraussetzungen müssten erfüllt sein?
- Hat der Tourist am Ende vielleicht doch recht?
- Was könnte diese Geschichte für mein derzeitiges Leben bedeuten?
- Ich mach mir gleich mal Notizen oder schreibe meine Ideen in die Kommentare.
Alles Liebe
Deine

by Jeanette Richter | Donnerstag, 30. April 2020 | Seelengeschichten |
In dieser wundervollen Geschichte geht es um ganz alltägliche Selbstverständlichkeiten, um eine Kuh und einen kleinen Jungen. Und sie rührt mich immer wieder zu Tränen, weil auch ich mich durch sie immer wieder ans Wesentliche erinnern lassen darf.
Denn diese Geschichte hilft uns allen, bestimmte „Dinge“ unter einem anderen Fokus ganz neu zu betrachten. Sie hilft vielen meiner Klienten im Coaching, zu einer anderen Sichtweise zu gelangen, indem sie ihre Themen und Probleme mal aus einer ganz anderen Perspektive betrachten. Vielleicht kann sie auch Dir helfen …
Viel Freude beim Lesen.
…
Papa, ist das eine Kuh?
Ein Mann sitzt mit seinem 17-jährigen Sohn im Zug. Mit großen Augen schaut der junge Mann aus dem Fenster und fragt:
„Papa, ist das eine Kuh?“
Der Vater lächelt und antwortet: „Ja, mein Sohn.“
Aufgeregt spricht der Junge weiter: „Papa, diese Blume ist eine Sonnenblume, oder?“ Die Antwort lautet wieder: „Ja, mein Sohn.“
Viele weitere Fragen folgen: „Papa, ist das ein Lastwagen? … eine Tanne? … ein Hubschrauber? … ein hoher Berg …?“ Stets folgt dieselbe Antwort:
„Ja, mein Sohn.“
Zwischendurch zeigt der Vater in eine Richtung und sagt: „Schau, mein Sohn, der Vogel ist ein Bussard, dieser Baum ist eine Eiche und dort ist ein Rapsfeld …“
Ein Fahrgast, der den beiden gegenübersitzt, spricht den Vater nach einer Weile an:
„Bei allem Respekt, das Verhalten Ihres Sohnes ist doch sehr merkwürdig.“
Gespreizt weist er ihn darauf hin, dass es heutzutage doch sehr gute Kliniken für Fälle „wie diesen“ gäbe und die Medizin in alle Richtungen große Fortschritte mache.
Der Vater unterbricht ihn: „Wie recht Sie doch haben!“, ruft er und fährt freundlich fort: „Von solch einer Fachklinik kommen wir gerade.
Mein Sohn hat vor zwölf Jahren sein Augenlicht verloren und kann seit wenigen Tagen wieder sehen.“
Sichtlich beschämt senkt der Mann den Blick.
Nach einer Weile wendet er sich dem Jungen zu: „Junger Mann, ich muss mich bei Dir entschuldigen.“
Und nach einer Pause sagt er noch:
„Und ich möchte mich bei Dir bedanken. Du hast mir eben aufgezeigt, dass ich viel Wertvolles in meinem Leben gar nicht mehr wahrnehme, weil ich es für selbstverständlich gehalten habe. Danke.“
Quelle:
© Gisela Rieger – 111 Herzensweisheiten: Geschichten, Erzählungen und Zitate
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Dinge, die wir für selbstverständlich halten
Ja. Manchmal ist wirklich das Wesentliche für unsere Augen unsichtbar.
Vielleicht, weil wir zu beschäftigt sind oder mit unseren Gedanken, wo ganz anders. Dann rast die Welt nur so an uns vorbei und wir sehen gar nicht mehr, was um uns herum so vor sich geht.
Diese Geschichte kann zum Innehalten einladen, um vielleicht beim nächsten Mal – im Zug, im Bus, beim Autofahren als Beisitzer – den Blick einmal schweifen zu lassen und aufzunehmen, was da alles um uns herum IST.
Viele wertvolle Momente wünsche ich Dir. Eine weitere schöne Geschichte über das Glück oder Unglück findest Du hier.
Deine
Jeanette